10 Jan Es lebe der Umweg
Konzentriert, fokussiert, geradeaus und auf direktem Weg zum Ziel. So soll es sein! Mit kalter Effektivität alles erreichen. So geht Erfolg. Wer von Euch würde nicht gerne auf dieser Weise arbeiten? Ganz ehrlich: Ich finde diese Zielstrebigkeit super. Immer wieder wünsche ich mir, dass ich mehr davon hätte. Einerseits.
Andererseits: Wenn wir auf der Autobahn des Lebens immer nur auf unsere Ziele fixiert sind, übersehen wir alles, was links und rechts von uns passiert. Ob das unserer Kreativität dient, wage ich zu bezweifeln. Aus diesem Grund brauchen wir Wege, um neuen Input zu tanken. Wege, die unsere Kreativität herausfordern, kitzeln und füttern – die Umwege.
Am Ende führt der Umweg auch uns an Ziel. Nur nicht so schnell. Aber wenn wir uns mit Kreativität befassen, dürfen wir uns nicht über verlorene Zeit beklagen, sondern sollten uns über jeden neu gewonnenen Eindruck freuen.
Wenn wir kreativ arbeiten, benötigen wir Bilder, Worte, Töne und Eindrücke. Sie sind das Baumaterial für alle neue Ideen, die wir entwickeln. Und genau hier können Umwege zu einer reichhaltigen Inspirationsquelle im Alltag werden. Wenn wir unsere ausgetretenen Pfade verlassen, begeben wir uns auf unbekanntes Terrain. Wir sehen alles neu und stärken so unsere Aufmerksamkeit. Gleichzeitig lernen wir Dinge kennen, die wir sonst nie entdeckt hätten. Und über genau dieses Futter freut sich unsere Kreativität.
Das Schöne ist, dass wir diese Umwege ganz einfach in unseren Alltag integrieren können. Indem wir zum Beispiel wirklich Umwege nehmen. Lasst uns einfach auf dem Weg zum Einkaufen links abbiegen, statt wie gewohnt nach rechts zu gehen; auf der Autobahn eine Ausfahrt zu früh oder zu spät nehmen oder eine U-Bahnstation eher aussteigen.
Das Ganze lässt sich aber auch gut auf das restliche Leben übertragen. Wann habt Ihr das letzte Mal etwas gemacht, was scheinbar total nutzlos und bescheuert ist? Etwas, das nicht Euer Fachwissen ergänzt und Euch stringent auf Eurer Karriereleiter weiterbringt?
Einfach mal etwas total Bescheuertes machen
Manchmal kann es sehr wohltuend sein, etwas zu machen, mit dem man nie etwas zu tun hatte und dass auch nie vom unmittelbaren Nutzen sein wird. So bekommen wir Zugang zu Welten, die uns sonst für immer verschlossen blieben. Ein Beispiel: Ein Architekt kauft für eine Zugfahrt ein Kleintierzüchtermagazin statt eines Architekturmagazins oder ein Rechtsanwalt macht einen Rhönradkurs.
Auch ihr könnt Euch daran ein Beispiel nehmen. Geht morgen einfach in einen Kiosk und kauft Euch ein Fachmagazin jenseits Eurer Branche. Schaut Euch einen Film an, denn Ihr Euch nie ansehen würdet. Besucht ein Museum – wenn es wieder geht – das ein Thema behandelt, von dem ihr noch nie gehört habt.
Und noch ein Beispiel aus meinem Leben: In meinem Design Studium sollte ich für ein Projekt einen Stuhl entwerfen. Für meine Recherche habe ich schnell den direkten Weg verlassen und mich nicht mit dem Sitzen auseinandergesetzt. Stattdessen befasste ich mich sondern mit dem Stehen.
Das Ergebnis: der Leaner – ein Stehtstuhl, an dem man sich anlehnen kann. Bis heute habe ich etwas in dieser Form noch nicht gesehen.
Also, wer weiß, wofür solche Umwege gut sind? Eines ist klar: Sie führen nicht auf dem direkten Weg zum Ziel. Aber ich habe häufig Impulse für Ideen bekommen, als ich einen Umweg gegangen bin. Leider konnte ich bisher nie vorhersagen, wann ich welche Inspiration aus welcher Richtung bekommen habe. Das würde aber auch gegen das Prinzip des Umwegs verstoßen. Denn dann würde ich ja wieder versuchen, den direkten, effektiven Weg zu gehen, um inspiriert zu werden. Aus diesem Grund bin ich froh, dass dieses Prinzip unbestechlich ist. So lasse ich mich immer wieder auf den ein oder anderen Umweg ein und freue mich über jeden neuen Eindruck, den ich sonst verpasst hätte.
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